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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Roman, Piper Taschenbuch 26874

Erschienen am 18.06.2012
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783492268745
Sprache: Deutsch
Umfang: 416 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 19.1 x 12.1 cm
Einband: kartoniertes Buch

Autorenportrait

Gerd Ruebenstrunks Lebensweg ist so außergewöhnlich wie sein Name: Er war Sprachlehrer und Kneipenwirt, Lektor und Diskjockey, außerdem Texter und Kreativdirektor für Agenturen und fürs Fernsehen. Nicht zu vergessen: Tellerwäscher, Flaschenabfüller und Schaufensterpuppenverpacker. Sein Debüt »Arthur und die Vergessenen Bücher« wurde zum Bestseller. Gerd Ruebenstrunk lebt und arbeitet in Duisburg.

Leseprobe

Eine Universalsprache ' muss streng logisch sein. Jedes Wort muss den entsprechenden Begriff scharf und ohne Zweideutigkeit bezeichnen. Wenn die allgemeine Sprache keinen anderen Vorteil brächte, als die Begriffsverwirrungen zu steuern, welche in allen Sprachen aus der vagen Bedeutung so vieler Worte entspringen, so wäre die daran gewandte Mühe reichlich belohnt.< '   August Theodor von Grimm ( 1805 - 1878 ), Ahnherr der Interlinguistik, sächsischer Geschichtsprofessor und Erzieher am russischen Zarenhof, in seinem 'Programm zur Bildung einer allgemeinen Sprache '   Prolog   Wenn ich an jene Zeit zurückdenke, ist es vor allem Viktor Vaus Gesicht, das mir vor Augen steht. Er war kein gut aussehender Mann im klassischen Sinn. Aber er besaß Charakter, und den erkannte man auf den ersten Blick. Dadurch unterschied er sich von den meisten seiner Kollegen. Viktor war seiner Zeit weit voraus, auch wenn ihm das nicht bewusst war. Seine Ideen und Forschungen führten ihn zu Erkenntnissen, zu denen in den Jahren, die inzwischen verstrichen sind, niemand sonst vorgedrungen ist. Er hatte nicht viele Freunde, aber das störte ihn kaum. Wenn jemand der geborene Einzelgänger war, dann er. Dabei war er anderen gegenüber nicht ablehnend eingestellt. Es war eher so, dass die meisten Menschen Viktor als ein wenig merkwürdig empfanden und mieden. Und manche, wie seine verachtungswürdigen Wissenschaftlerkollegen, hatten einfach Angst vor seinem Intellekt und suchten ihre Zuflucht darin, sich über seine Forschungsarbeiten lustig zu machen. In unseren Gesprächen kam mir Viktor wie ein Mensch vor, der sich auf der Suche nach etwas befand, das ihm selbst unklar war. Natürlich hatte er Träume, aber sie waren durchzogen von einer tiefen Melancholie, die sich hinter seinem übertriebenen Streben nach Ordnung und Struktur verbarg. Manchmal genügt ein Mensch, um die ganze Welt grundlegend zu verändern, auch wenn uns die Philosophen und Historiker das Gegenteil einreden wollen. Viktor Vau war ein solcher Mensch, ohne dass er es wollte. Nichts war ihm ferner als irgendwelche Weltverbesserungsphantasien. Alles, was er vom Leben erwartete, war, in Ruhe seinen Studien nachgehen zu können. Er publizierte nicht, suchte keine wissenschaftliche Anerkennung, gab nichts auf Status oder gesellschaftliches Ansehen. Er war das Idealbild des reinen Wissenschaftlers, wie man ihn aus billigen Romanen kennt. Vielleicht war es das, was ihm zum Verhängnis wurde. Sicher kann man ihm vorwerfen, sich viel zu spät Gedanken über die möglichen Auswirkungen seiner Forschungen gemacht zu haben. Und ohne Zweifel stimmt es auch, dass er eine gewisse Arroganz gegenüber denjenigen an den Tag legte, die seine Forschungsergebnisse infrage stellten. Aber das alles rechtfertigt nicht, was ihm widerfahren ist. Wenn die Gerechtigkeit blind ist, wie man sagt, so war das Schicksal in Bezug auf Viktor Vau mit doppelter Blindheit geschlagen. Viktor liebte es, klassische Philosophen zu zitieren. 'Bereits Aristoteles hat auf die Probleme hingewiesen, die sich aus der Ungenauigkeit unserer Sprache ergeben ', erklärte er uns einmal. 'Und zwar nicht nur für die Kommunikation, sondern auch fürs Denken. Selbst in seinen Gedanken kann ein Mensch Opfer einer Täuschung werden, wenn er eine Angelegenheit nur aufgrund von Worten analysiert, warnte er. Er bezog sich dabei bewusst auf die Doppeldeutigkeiten und Unklarheiten, die unserer Sprache anhaften und die manchmal, wie er meinte, selbst den geübtesten Denkern nicht auffallen. ' So wurde auch Viktor letztlich zum Opfer seines eigenen Denkens, das, gerade weil es so genau sein wollte, außer Acht ließ, dass er auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Leider hatte bis auf uns niemand Interesse daran, ihm zuzuhören. Alle, die hinter ihm her waren, erhofften sich von ihm eine Erfüllung ihrer Wünsche. Und selbst wir wollten immer nur das wahrhaben, was in unser vorgefertigtes Weltbild passte, um es dann als Beweis für un